Interkulturelle Grammatik

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Die Interkulturelle Grammatik bezieht sich auf die Untersuchung und das Verständnis grammatischer Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen verschiedenen Sprachen und Kulturen. Im Fokus steht nicht nur die strukturelle Analyse von Sprachen, sondern auch die kulturelle Prägung und Verwendung grammatischer Elemente in unterschiedlichen soziokulturellen Kontexten. Dieser Ansatz betont die Wechselwirkung zwischen Sprache, Kultur und Kommunikation.

Salifou Traoré definiert den Begriff so: „Interkulturelle Grammatik ist eine deskriptiv vergleichende Grammatik, die im Hinblick auf Fremdsprachenlernen und unter dem Aspekt des Verstehens und der Verständigung in der Fremd- und Selbstwahrnehmung die grammatischen Phänomene der fremden und der eigenen Sprache in ihrer jeweiligen eigenkulturellen Erscheinungsweise reflektiert. Gegenstand der Analyse sind nicht nur die Sprachhandlungen und ihre kulturspezifische Gewichtung, sondern auch die grammatischen Kategorien, ihre Form, ihre Bedeutung und ihre kommunikativ-funktionale Potenz in je kulturspezifischer Weise. Daraus können sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede hervorgehen.

Es geht also dabei um eine Grammatik, die die Kulturbedingtheit grammatischer Erscheinungen und die davon abhängigen kommunikativen Funktionen in den Mittelpunkt des Lernprozesses rückt“ (Traoré 2008: 149)[1].

Merkmale der Interkulturellen Grammatik:

  • Kulturelle Einbettung: Die Grammatik wird nicht isoliert betrachtet, sondern in den kulturellen Kontext eingebettet. Dies beinhaltet kulturelle Normen, Werte und Praktiken, die die Anwendung von grammatischen Regeln beeinflussen.
  • Interkulturelle Kommunikation: Die Interkulturelle Grammatik analysiert, wie grammatische Strukturen in interkulturellen Kommunikationssituationen verwendet werden. Dies ermöglicht ein tieferes Verständnis für den Einfluss von Kultur auf die Sprachverwendung.
  • Pragmatische Aspekte: Neben syntaktischen und morphologischen Eigenschaften berücksichtigt die Interkulturelle Grammatik auch pragmatische Aspekte, wie die Verwendung von Höflichkeitsformen, Anredepronomen und anderen sprachlichen Mitteln, die kulturell geprägt sind.
  • Übersetzungsprozesse: Die Grammatik wird im Kontext von Übersetzungsprozessen betrachtet, um die Herausforderungen und Möglichkeiten bei der Übertragung grammatischer Strukturen zwischen Sprachen zu verstehen.

Beispiele für Interkulturelle Grammatik:

Höflichkeitsformen:

Beispiel: In einigen Sprachen, wie dem Japanischen oder Koreanischen, gibt es spezielle grammatische Formen, um Höflichkeit und Respekt auszudrücken, die in anderen Sprachen möglicherweise nicht so ausgeprägt sind.

Anredepronomen:

Beispiel: Die Verwendung von Anredepronomen (wie "Sie" oder "Du") variiert stark zwischen Sprachen und kann kulturell unterschiedliche Konventionen widerspiegeln.

Tempus und Aspekt:

Beispiel: Die Art und Weise, wie Sprachen Tempus und Aspekt verwenden, kann kulturelle Unterschiede in der Sicht auf Zeit und Handlungsverlauf reflektieren.

Metaphorische Grammatik:

Beispiel: In einigen Kulturen können metaphorische Ausdrücke, die auf grammatischen Konzepten basieren, tiefe kulturelle Konnotationen haben.

Forschung und Anwendung:

Die Forschung im Bereich der Interkulturellen Grammatik trägt dazu bei, sprachliche und kulturelle Sensibilität zu fördern, insbesondere in interkulturellen Bildungskontexten, der Übersetzung und im Bereich der interkulturellen Kommunikation.

Die Interkulturelle Grammatik bietet einen umfassenden Ansatz zur Analyse von Sprache und Kultur, der über die traditionelle Grammatik hinausgeht und die Wechselwirkungen zwischen Sprachen und Kulturen vertieft.

Beispiele aus dem Unterricht

Unterrichtsbeispiel 1 für DaF/DaZ, Niveaustufe A2:

  • Thema: Alltagssituationen und höfliche Ausdrücke in der deutschen Sprache
  • Lernziel: Die Lernenden sollen grundlegende höfliche Ausdrücke für Alltagssituationen in der deutschen Sprache lernen und anwenden können.
  • Aufgabe: "Dialoge im Alltag"
  • Einführung (Vorwissen aktivieren):

Besprechen Sie mit den Lernenden, welche Situationen im Alltag höfliche Ausdrücke erfordern (z. B. Begrüßung, Dank, Entschuldigung).

Erfragen Sie, ob die Lernenden bereits einige höfliche Ausdrücke auf Deutsch kennen.

Vokabular einführen:

Präsentieren Sie grundlegende höfliche Ausdrücke und Sätze für verschiedene Alltagssituationen, z. B. im Laden, im Restaurant, in der Schule.

Üben Sie die Aussprache und Bedeutung gemeinsam.

  • Rollenspiele:

Teilen Sie die Lernenden in Paare auf und geben Sie ihnen verschiedene Szenarien, in denen höfliche Ausdrücke verwendet werden müssen.

Die Paare führen kurze Dialoge, in denen sie die gelernten höflichen Ausdrücke anwenden.

  • Präsentation der Dialoge:

Einige Paare präsentieren ihre Dialoge vor der Klasse.

Die anderen hören aufmerksam zu und notieren, welche höflichen Ausdrücke sie identifizieren können.

  • Gemeinsame Reflexion:

Besprechen Sie als Klasse, welche höflichen Ausdrücke gut verwendet wurden und geben Sie positive Rückmeldungen.

Klären Sie etwaige Unsicherheiten und korrigieren Sie Aussprachefehler.

  • Bewertung: Die Lernenden werden anhand ihrer Fähigkeit bewertet, die gelernten höflichen Ausdrücke in realistischen Alltagssituationen anzuwenden. Die Bewertung kann mündlich oder schriftlich erfolgen, wobei die kommunikative Kompetenz im Vordergrund steht.


Unterrichtsbeispiel 2: Höflichkeitsformen in verschiedenen Kulturen (Deutschunterricht, DaF/DaZ ab A2)

  • Lernziel: Die Schüler verstehen die Verwendung von Höflichkeitsformen in verschiedenen Sprachen und erkennen kulturelle Unterschiede.
  • Aufgabe:

Recherchieren Sie Höflichkeitsformen in mindestens drei verschiedenen Sprachen, die Sie interessieren.

Vergleichen Sie, wie Höflichkeitsformen in diesen Sprachen in verschiedenen Kontexten (z. B. formelle Briefe, informelle Gespräche) verwendet werden.

Erstellen Sie eine kurze Präsentation, in der Sie Ihre Erkenntnisse mit der Klasse teilen und kulturelle Unterschiede bei der Verwendung von Höflichkeitsformen hervorheben.

  • Bewertung: Die Schüler werden nach ihrer Fähigkeit bewertet, kulturelle Unterschiede in der Verwendung von Höflichkeitsformen zu identifizieren und ihre Erkenntnisse klar zu präsentieren.

Unterrichtsbeispiel 3: Tempus und Aspekt in kulturellen Erzähltraditionen (Deutschunterricht)

  • Lernziel: Die Schüler verstehen, wie unterschiedliche Kulturen Tempus und Aspekt in ihren Erzähltraditionen verwenden.
  • Aufgabe:

Wählen Sie eine Erzähltradition aus einer Kultur, die nicht Ihrer eigenen entspricht (z. B. japanische Haiku, afrikanische Märchen).

Analysieren Sie, wie Tempus und Aspekt in dieser Erzähltradition verwendet werden, um Handlungen und Zeit darzustellen.

Vergleichen Sie die Ergebnisse mit einer Erzähltradition aus Ihrer eigenen Kultur und identifizieren Sie kulturelle Einflüsse auf die Verwendung von Tempus und Aspekt.

  • Bewertung: Die Schüler werden nach ihrer Fähigkeit bewertet, kulturelle Unterschiede in der Verwendung von Tempus und Aspekt in Erzähltraditionen zu erkennen und ihre Erkenntnisse zu vergleichen.

Siehe auch

  1. Traoré, Salifou (2008): Interkulturelle Grammatik. Konzeptionelle Überlegungen zu einer Grammatik aus eigener und fremder Perspektive im Deutschen als Fremdsprache. Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main 2008 (Im Medium fremder Sprachen und Kulturen, Band 12).