Fehleranalyse in Deutsch als Fremdsprache

Aus ZUM Deutsch Lernen

Auf Basis der systematischer Fehleranaylsen von Schülertexten könnte eine typische Reihenfolge von Fehlern beim Erwerb des Deutschen erstellt werden. Für den Englischunterricht sind hierzu Arbeiten vorhanden; für den Deutschunterricht in den Niederlanden ist hierfür nur auf die SLO-Broschüre von Erwin de Vries und Erik Kwakernaak zu verweisen: "Advies-grammaticaleerlijn Duits". (Ohne Ort, ohne Jahr, PDF-Bestand, siehe Website der SLO)

Fehler von Fremdsprachenlernern

Was ist der Unterschied zwischen Fehlern von Muttersprachlern und jemanden, der die Sprache als Fremdsprache erlernt?

Ein Muttersprachler mit entsprechender Ausbildung wird seine Fehler beim Abhören des Bandes sofort erkennen und diese wird er auch verbessern können. Der Fremdsprachenlerner wird seine "dummen Fehler" erkennen und zum Teil auch verbessern können; andere Fehler wird er nicht ohne Hilfe ausmachen können.

Dies kann verschiedene Gründe haben:

  1. Aufgrund der Struktur seiner Muttersprache akzeptiert der Fremdsprachenlerner einen Fehler als vermeintlich richtig (Interferenzfehler). Welcher Niederländer hört denn zum Beispiel den Fehler in "Komm hier" (anstatt "Komm hierher")?
  2. Der Fremdsprachenlerner hat eine bestimmte Regel (oder Ausnahme) noch nicht gelernt und greift auf eine schon gelernte Regel, die hier aber nicht gilt, zurück (Übergeneralisierung). Das passiert natürlich auch Kindern beim Sprachlernen und untrainierten Muttersprachlern; so wenn zum Beispiel Deutsche häufig sagen "Geb mal her" (anstatt "Gib mal her" [Imperativ, Singular!]).
  3. Im Unterricht oder/und Unterrichtsmaterial sind unkorrekte Formen gelehrt oder (zumindest) nahe gelegt worden (negatives Transferlernen!).

Interferenzfehler

sind sicherlich die am häufigsten vorkommenden Fehler bei unseren Schülern. Sie haben eine sichere Kompetenz in ihrer Muttersprache. Und wenn man etwas in der Fremdsprache sagen will, dann übersetzt man eben erstmal einfach wörtlich. (Das machen die einfachen Computerprogramme übrigens genauso!) Und wenn im Eifer des Gefechts ein Wort unbekannt ist, dann lässt man schon mal das aus der Muttersprache stehen (z.B. "Ich habe die Krant gelesen"). Das ist auch sinnvoll auf seine Art: Man will ja etwas sagen und denkt erst in zweiter Linie an die richtige Form. Erst kommt eben immer das "Was" und dann erst das "Wie". Unser Beispielsatz wäre übrigens jedem Deutschen verständlich, wenn der Sprecher dabei auf eine Zeitung zeigt. Der Deutsche versteht zwar das Wort "krant" nicht, er erkennt aber in der Situation die Bedeutung. Bei nicht evidenten Situationen und Kontext kann dies allerdings zu Missverständnissen führen. Der Satz "Meine Kachel steht im Wohnzimmer." wird in Erzählungen für Deutsche schon viel schwieriger verständlich sein.

Abgesehen vom Argument der Verständlichkeit zeigen sich uns Interferenzfehler auf verschiedenen Niveaus:

  • Wortschatzfehler
  • Idiomatische Fehler in Sprichwörtern und Ausdrücken
  • Einfache grammatische Fehler (vor allem Dativ und Genetivfehler)
  • Satzbaufehler

Jetzt haben wir bei dieser Liste die Sprechfertigkeit (Aussprache und Intonation) noch gar nicht berücksichtigt.

Wollen wir die oben angeführten Fehler minimieren, also auf ein Mindestmaß zurückdrängen, dann haben wir erstmal zwei Möglichkeiten:

  1. Wir müssen dem Schüler das notwendige Wissen vermitteln.
  2. Der Schüler muss in die Lage versetzt werden, dies Wissen auch anzuwenden.

Punkt 2 ist hierbei natürlich der wichtigere und auch der schwierigere.

All dies liegt in der Sprechfertigkeit natürlich auch didaktisch gesehen anders als in der Schreibfertigkeit. Aber darauf werden wir später noch eingehen.

Die weitere Fremdsprache als abweichendes System

Insgesamt ist bei beiden Punkten jedoch von größter Wichtigkeit, dass der Schüler lernt, welche Struktur die zu erlernende Sprache hat. Wo sie mit seiner Muttersprache übereinstimmt und wo sie von dieser abweicht. Er muss die Fremdsprache also als ein anderes, ein abweichendes System wahrnehmen. Dies gilt auch für Interferenzen aus anderen Fremdsprachen. Häufig bauen Schüler erstmal ein System auf:

<graphviz> digraph G { rankdir=LR; Fremdsprache -> Muttersprache; } </graphviz>

Das heißt für den Schüler natürlich, dass unter Fremdsprache alle möglichen Fremdsprachen verstanden werden können. Jetzt muss deutlich gemacht werden, dass es verschiedene Systeme der Fremdsprachen gibt. Und dieses System muss als abgesondertes bewusst aufgebaut werden.

<graphviz> digraph G { Englisch -> Muttersprache; Deutsch -> Muttersprache; Französisch -> Muttersprache; Andere_Fremdsprachen -> Muttersprache; } </graphviz>

Der Einfluss dieser Faktoren mag auch vom jeweiligen Stundenplan abhängen. Ein Schüler, der gerade im Englischen eine Struktur eingdrillt bekommen hat, wird diese zuweilen auch noch in den Deutschunterricht mitnehmen. Gerade im ersten Jahr hört man in den Schulen häufiger englische Wörter, die sich sozusagen einfach "zwischenschieben".

Vielleicht ist es aber euch auch schon mal selbst passiert: an einem langen Ferienabend im Ausland, findet man nicht mehr das richtige Wort, ein Wort aus einer anderen Fremdsprache drängt sich immer wieder auf.

Übergeneralisierung

ist ein häufig vorkommender Fehler. Der Schüler überträgt hier eine gelernte Regel auf ein Gebiet, wo deren Anwendung zu einem Fehler führt.

Zum Beispiel:

Gelernt ist:       Ich liebe den   Beruf.
Übertragen wird:   Ich werde einen Lehrer.

Gelernt hat der Schüler, dass nach Subjekt und Verb "normaler Weise" ein Objekt folgt, das im Akkusativ steht. "Diese Regel" wird dann fälschlicherweise auf den zweiten Beispielsatz übertragen, obwohl hier "werden" den Nominativ erfordert.

Übrigens kommt dieser Fehler auch sehr häufig im Mutterspracherwerb vor. Kinder erlernen zum Beispiel die Regel, dass der Plural bei Substantiven (auch) durch Anhängen eines "s" gebildet werden kann, dies übertragen sie dann auf viele andere.

Zum Beispiel:

Das Auto      die Autos
Das Mädchen   die Mädchens

Bei Übergeneraliseriungsfehlern muss der Lehrer entweder darauf hinweisen, dass die falsche Regel angewendet worden ist oder dass die Regel erst noch gelernt werden wird (eigentlich ist es dann kein Fehler, betrachtet man den Schüler aus seiner Sicht).

Fehler im Lehrwerk

sollten wir erkennen und verbessern. Dies gilt nicht nur für eindeutige Fehler (wie zum Beispiel Tippfehler oder Wortschatzfehler), sondern auch für fehlerfördernde Erklärungen (zum Beispiel: problematische Grammatikregeln).

Fehlerbeschreibung auf dem Niveau der Sprache

Neben diesen psychologischen Ursachen für die Produktion von Fehlern sind für uns als Lehrer noch andere Beschreibungsmerkmale von Wichtigkeit. Diese Merkmale befinden sich auf der Ebene der linguistischen Beschreibung. Folgende sind besonders wichtig:

  • Falsches Wort
  • Falsch geschriebenes Wort
  • Falsche Idiomatik
  • Falsche Form (Grammatik)
  • Falscher Satzbau

Typische Fehler niederländischer Schüler

Wie die Fehler sich bei niederländischen Schülern verteilen, ist in einer kleinen empirischen Studie von Erik Hofman 1996 in einer Abschlussarbeit der NHL untersucht worden. Hierzu wurden die Fehler von 64 Briefen von HAVO Schülern erfasst, insgesamt handelte es sich um 630 Fehler. Bei einigen Doppelzählungen ergab sich folgende Verteilung:

Grammatikfehler        383
Idiomfehler            133
Rechtschreibfehler     161

Von den 383 Grammatikfehlern waren 271 oder fast 71% Kasusfehler. Die vier wichtigsten Kasusfehler waren die Folgenden:

Fehler                         Anzahl
Fehler nach Präpl.              125
Dat./Akk. richtig Genus falsch   63
Falsche Präp.                    51
Akkusativ statt Dativ            50

Wortfehler

"Falsche Wörter" sind zumeist Interferenzfehler. Man weiß ein Wort auf Deutsch nicht und fällt auf seine Muttersprache zurück. Dann wird eben aus der Zeitung eine "krant". Zuweilen kann natürlich auch ein Lernfehler vorliegen: Man greift auf ein vermeintlich richtiges Wort zurück. So kann bei Missachten des Kontextes "de enkel" als "der Enkel" übersetzt werden.

Beim Schreiben spielt dann noch die Orthografie, die Rechtschreibung, eine große Rolle (auf die Aussprache gehen wir später noch ein). Auch hier handelt es sich häufig um Interferenzfehler. Hat man das Klangbild eines Wortes im Ohr oder eine ungefähre Vorstellung von Wortbild, dann wird bei Unsicherheit auf eine vertraute Regel zur Rechtschreibung aus der Muttersprache zurückgegriffen werden.

Idiomatikfehler

Bei der Idiomatik handelt es sich nicht um einzelne Wörter, die falsch gebraucht werden, sondern um Ausdrücke, die sich aus mehreren Wörtern zusammensetzen.

Einen niederländischen Ausdruck wie

"De kat uit de boom kijken"

kann man eben nicht einfach Wort für Wort ins Deutsche übersetzen. Man muss einen entsprechenden Ausdruck finden. Hierbei handelt es sich jedoch keineswegs nur um Sprichwörter und Ähnliches, wichtig sind auch feste Verbindungen von Wörtern. Im Deutschen wird eben eine Schallplatte nicht "gedreht", sie wird (ab)gespielt.

Diese Konventionen müssen zum großen Teil gelernt werden, Erklärungen helfen da nur in Ausnahmefällen weiter.

Warum können im Deutschen Autos und Boote fahren, obwohl letztere doch kaum entsprechende Räder haben?

Und warum kann man mit seinem Motorrad nicht in den Urlaub gehen?

Grammatikfehler

Ein weit verbreitetes Hobby von Deutschlehrern ist schließlich die Grammatik.

Zum einen ist da der Satzbau. Der ist für Niederländer bei überschaubaren Satzstrukturen abgesehen von einigen Infinitivstellungen jedoch aufgrund seiner Muttersprache kaum ein Problem. Selbst die Zeitenfolge im Deutschen stimmt meist mit der niederländischen überein. Und wer in der niederländischen Grammatik fit ist, macht in der deutschen nur wenige Fehler.

Im Deutschen ändert sich die Form des Wortes jedoch viel häufiger und zwingender als im Niederländischen. Diese Formänderung des Wortes hängt wiederum von der Stellung und Funktion im Satz ab. Hinzu kommt dann noch die Frage, in welche Rubrik das jeweilige zu verändernde Wort kommt. Man denke hierbei nur an die Hauptgruppen der deutschen Substantive: Im "Wahrig" sind 30 (dreißig) verschiedene Deklinationen angeführt. Multipliziert mit den vier Fällen und dann noch mit Singular und Plural kommt man immerhin auf 240 Möglichkeiten! Und das alleine bei der Deklination. Diese umfangreiche Formenlehre ist deswegen auch ein wichtiges Problem in der deutschen Sprache. (Auf der anderen Seite steht dem gegenüber, dass auch aufgrund dieser Vielfalt der Satzbau im Deutschen viel variabler ist als in den meisten anderen vergleichbaren Sprachen).

Die vier Fälle führen zu einem weiteren wichtigen Feld an möglichen Fehlern. Zuerst ist da das Dativobjekt, das im modernen Niederländischen nur in den Personalpronomina an der Form erkennbar ist. Verbvalenzen, die den Dativ erfordern, sind für fortgeschrittene Lerner ebenso wie andere Wortarten, bei denen der Dativ zwingend erfordert wird, ein besonderes Problem.

Übrigens ist im Einfachst-Deutsch auch eine sprachliche Verständlichkeit ohne die richtigen Formen möglich. Man denke hierbei nur die frühen Formen eines "Gastarbeiterdeutsches", in dem zum Beispiel die Infinitivform des Verbs die Regel ist.

Ein Satz wie "Ich essen das Kohl" ist wohl verständlich, obwohl zwei dicke grammatikalische Fehler enthalten sind.

Fehler im Unterricht

In der Unterrichtspraxis ist es für den Lehrer allerdings nicht immer leicht zu entscheiden, welcher Fehler jetzt gerade vorliegt.

Ein Satz wie

"Ich mag den Auto."

kann zwei Fehlerquellen aufweisen:

  • Der Schüler kann gedacht haben, es handle sich beim Auto im Deutschen um ein Maskulinum, oder
  • er kann gedacht haben, die Neutrumform von "das Auto" sei "den Auto".

Literatur

  • Cherubin, Dieter (Hg): Fehlerlingusitik. Beiträge zum Problem der sprachlichen Abweichung. Tübingen: Niemeyer, 1980.
  • Edge, Julian: Mistakes and Correction. London/New York: Longman, 1989.
  • Heringer, Hans Jürgen: Fehlerlexikon. Deutsch als Fremdsprache. Berlin: Cornelsen, 2001.
  • Spillner, Bernd: Error Analysis. A Comprehensive Bibliography. Amsterdam/Philadelphia: Benjamins, 1991.

Siehe auch