Lernstrategien im Fremdsprachenunterricht
Einleitung
- „Wenn du einem Menschen einen Fisch gibst, dann gibst du ihm für einen Tag zu essen.
- Wenn du einem Menschen das Fischen beibringst, dann gibst du ihm für sein Leben lang zu essen".
- (altchinesische Weisheit, zitiert nach Bimmel/ Rampillon 2000: 7).
Die Vermittlung von Lernstrategien und die Förderung des selbstständigen Lernens (das autonome Lernen) sind heute in vielen Fremdsprachencurricula als Lernziele fest verankert. Was genau das bedeutet, wird häufig nur sehr allgemein formuliert, etwa in dem Sinne, dass der Fremdsprachenunterricht den Auftrag habe, Lernstrategien, die zum selbstständigen Lernen befähigen, zu vermitteln. Man spricht von ‚autonomem Lernen’, wenn Lernende die zentralen Entscheidungen über ihr Lernen selbst treffen können. Zu den Grundprinzipien des autonomen Lernens gehört die Fähigkeit, das eigene Lernen zu planen und darauf zu reflektieren. Die Beherrschung von Lernstrategien ist hierfür eine grundlegende Voraussetzung (vgl. Bimmel/ Rampillon 2000: 5, 33).
In diesem Beitrag werden einige Forschungsergebnisse zu Lernstrategien vorgestellt. Zunächst steht die Frage zentral, was der Begriff 'Lernstrategie' beinhaltet. Danach werden einige Lernstrategien mittels einer Tabelle klassifiziert. Zum Schluss soll erläutert werden, wie Lernstrategien erfolgreich vermittelt werden können.
Definition Lernstrategie
Wenn man von ‚Lernerstrategien’ spricht, kann man einen Unterschied machen zwischen Sprachlernstrategien und Sprachgebrauchsstrategien, wobei erstere die Strategien beschreibt, die Lernende zum Erwerb einer Sprache nutzen und die zweite eher dem kommunikativen Gebrauch und dem Verstehensprozesse einer Sprache zugeordnet werden (Bimmel und Rampillon 2000: 62). Der Begriff Lernstrategie zeichnet sich durch eine verwirrende Vielfalt von Versuchen aus, den Strategiebegriff zu definieren (Grenfell/Macaro 2007). Westhoff (1993: 267) schlägt folgende Definition vor: „Eine Lernstrategie ist ein Handlungsplan, um ein Lernziel zu erreichen“. Oft geht es dabei um Handlungen, die sich –nicht direkt beobachtbar – im Kopf der Lernenden abspielen (sog. „mentale Handlungen“), wie z. B. Kenntnisse der Muttersprache übertragen. Aber es kann durchaus auch um direkt beobachtbare Handlungen gehen, wie z. B. mit Hilfe von Vokabelkarten Wortschatz wiederholen.
Wolff (1998:72) definiert Lernstrategien folgendermaßen:
- "Lernstrategien sind strategische Verhaltensweisen, die der Lernende u.a. beim Gebrauch und beim Erwerb der fremden Sprache einsetzt; als komplexe Pläne steuern sie sowohl das Verhalten der Lernenden beim Lernen und in der Interaktion mit anderen, als operationalisierte Fertigkeiten steuern sie den Erwerb sprachlicher Mittel und die Verarbeitung anderer nicht sprachlicher Informationen".
Westhoffs Definition hat gegenüber anderen Definitionsversuchen den Vorteil, dass sie implizit zwischen einer Lernstrategie (i.e. einem bewussten Handlungsplan, um ein Lernziel zu erreichen) und der Ausführung einer strategischen Lernhandlung unterscheidet.
Ein Beispiel für eine bewusste mentale Handlung, wie Westhoff das meint ist, die Ratestrategie. Deutsch und Niederländisch sind nah verwandte Sprachen. Niederländer können deutsche Texte, selbst wenn sie sie nicht verstehen, oft gut lesen. Das hängt sowohl mit der großen Übereinstimmung der Wortstellung als auch mit der Ähnlichkeit der Intonation zusammen. Viele Wörter sehen sogar gleich aus (vgl. auto, geheim, arm usw.) Auch unter Berücksichtigung der ‚2.Lautverschiebung‘, werden Wörter erschließbar (vgl. Wasser - water scheinen - schijnen usw.) Die Wortverwandtschaft unterstützt damit den Wortschatzerwerb.
Übrigens hat das Wort Ratestrategie in der deutschen Sprache eine andere Bedeutung: "Zu Ratestrategien kommt es, wenn die Stufe der Automatisierung der Lesevorgänge im Leselehrgang übersprungen oder wegen zu geringer Übungsintensität nicht erreicht wurde“[1]. Im Fremdsprachenunterricht in den Niederlanden hat der Begriff eher einen positiven Stellenwert. Ratestrategien in den Niederlanden sind ein Hilfsmittel, die dazu beitragen Wörter und Satzteile schneller und besser verstehen zu können.
Entsprechend der Westhoffschen Strategiedefinition und in Anschluss an kognitivistische Lerntheorien (vgl. O’Malley / Chamot 1990) können Lernstrategien als Bedingungs-Handlungs-Paare beschrieben werden („Wenn es mein Lernziel ist, XYZ zu erreichen, dann führe ich die strategische Lernhandlung so-und-so aus“). Ein Lernziel könnte zum Beispiel sein: „Ich möchte mir die Redemittel aus Lektion X des Lehrwerks merken“. Eine Lernstrategie wäre dann ein Handlungsplan, um dieses Lernziel zu erreichen. Zum Beispiel: „Wenn es mein Lernziel ist, mir Redemittel zu merken, dann wiederhole ich sie, indem ich Dialoge schreibe oder Kontexte erfinde, in denen die Redemittel wiederholt vorkommen“. Die strategische Lernhandlung besteht in diesem Fall darin, dass der oder die Lernende die Redemittel wiederholt, indem er oder sie Dialoge schreibt bzw. Kontexte erfindet.
Kategorien von Lernstrategien
O’Malley und Chamot (1990:137ff.) unterscheiden drei Kategorien von Lernstrategien: metakognitive, kognitive und sozial-affektive Lernstrategien:
Metakognitive Lernstrategien dienen der Planung (z.B. Auswahl geeigneter Lernstrategien), Überwachung (z.B. Überprüfen des eigenen Textverstehens während des Lesens oder Überprüfen der Effizienz des Einsatzes von Lernstrategien) und Evaluation (z.B. abschließende Bewertung der Arbeitsergebnisse) des Sprachlernprozesses.
Die kognitiven Ziele sind in der folgenden Tabelle gelistet. Sie zeigt eine Klassifizierung strategischer Lernhandlungen, von denen in empirischen Studien nachgewiesen wurde, dass erfolgreiche und erfahrene Fremdsprachenlernende sie beim Sprachenlernen einsetzen (Cohen / Macaro 2007). Erläuterungen zu den einzelnen strategischen Lernhandlungen finden sich in Bimmel und Rampillon (2000).
MEMORISIEREN | SPRACHVERARBEITUNG | SPRACHGEBRAUCH | |
---|---|---|---|
KOGNITIVE ZIELE |
|
|
Rezeptiv (Lesen, Hören)
Produktiv (Sprechen, Schreiben)
|
Die dritte Kategorie sind die sozialen und affektiven Lernstrategien. Hierbei geht es darum, durch die Kooperation mit anderen (Mitlernende, Lehrperson/Tutor, Muttersprachler) den Sprachlernprozess zu optimieren und eigene Gefühle wie Angst, Frustration oder Demotivierung zu kontrollieren.
Strategievermittlung
Für eine erfolgreiche Vermittlung von Lernstrategien als Bausteine der Lernerautonomie reicht es nicht aus, Lernende bloß dazu aufzufordern, bestimmte strategische Lernhandlungen – wie z. B. „Ordne die folgenden Wörter in Gruppen ein“ – auszuführen. Erfolgschancen bei der Vermittlung von Lernstrategien sind in hohem Maße davon abhängig, inwiefern Lernende über die Strategien informiert werden. Sie sollen sich nicht nur bewusstmachen, wie sie bei der Bewältigung von Lernaufgaben vorgegangen sind, sondern sich auch Gedanken darüber machen, inwiefern die Anwendung von Lernstrategien dazu beiträgt, dass sie ihre Lernziele erreichen ( Vgl.Bimmel 2013: 12).
Dementsprechend lassen sich einige Komponente der Strategievermittlung unterscheiden, die für eine erfolgreiche Vermittlung von Lernstrategien erforderlich sind (vgl. Tönshoff 2007, 333):
- Bewusstmachung bereits vorhandener Lernstrategien – z. B. indem Lernende sich darüber austauschen, wie sie bei der Bewältigung von Lernaufgaben vorgehen. Das kann erfolgen durch Klassengespräche und anhand eines Fragebogens.
z.B. http://www.sprachenzentrum.fu-berlin.de/slz/media/pdf/Lernstrategien_entdecken4.pdf?1210678536. - Lernende müssen Informationen über die zu vermittelnde Lernstrategie bekommen, wie sie funktioniert und zu welchen Zwecken man sie anwenden kann.
- Übungsphasen stellen für die Lernenden die Möglichkeit dar, das bislang erworbene Wissen über Lernstrategien praktisch anzuwenden. Die Lernenden sollten dabei kognitiv anspruchsvolle Aufgaben bearbeiten, damit sie eine Vielzahl an Lernstrategien anwenden und erproben können. Ein Lehrer bzw. die Lehrerin hat dabei die Aufgabe zu betreuen, wie die strategische Lernhandlungen angemessen ausgeführt werden können.
- Durch den Einsatz von Portfolios, Evaluationsbögen oder einer regelmäßigen Selbstbeobachtung mit Erfahrungsaustausch können Lernende den individuellen Strategieneinsatz reflektieren und Erkenntnisse für zukünftige Lern- und Arbeitsprozesse gewinnen.
Quellen
- Bimmel, P./ Rampillon, U. (2000). Lernerautonomie und Lernstrategien. Fernstudieneinheit 23. Berlin: Langenscheidt.
- Bimmel, P.(2012). Lernstrategien- Bausteine der Lernerautonomie. Deutsch als Fremdsprache, Heft 46,3-10. München: Hueber.
- Bimmel, P. (2013). Ruim dertig jaar onderzoek naar leerstrategieën bij het leren van vreemde talen. Levende Talen Tijdschrift, jaargang 14, nr. 1, 2013, 3-18.
- Cohen, Andrew D. / Macaro, E. (2007). Language Learner Strategies: Thirty Years of Research and Practice. Oxford: Oxford University Press.
- Grenfell, M / Macaro, E. (2007). Claims and Critiques. In:Cohen, Andrew D. / Macaro, Ernesto (Eds.): Language Learner Strategies. Thirty Years of Research and Practice. Oxford: Oxford University Press, 9–28.
- O'Mally, J.M. & Chamot, A.U. (1990). Learning strategies in second language acquisition. Cambridge: Cambridge University Press.
- Tönshoff, W. (2007). Lernerstrategien. In: K.R. Bausch, H. Christ, & H.J. Krumm (Eds.), Handbuch Fremdsprachenunterricht, 5. Auflage,331–335, Tübingen etc.: Francke
- Westhoff, G.J. (1993). Onderwijs in leerstrategieën: theoretische achtergronden, praktisch nut. Levende Talen 480, 266-270.
- Wolff, D. (2007). Lernerautonomie und selbstgesteurtes fremdsprachliches Lernen: Überblick.In: K.R. Bausch, H. Christ, & H.J. Krumm (Eds), Handbuch Fremdsprachenunterricht, 5. Auflage, 321-326, Tübingen etc.: Francke.
Referenzen
<references> <metakeywords>ZUM2Edutags,ZUM-Wiki,Lernstrategien im Fremdsprachenunterricht,Lernstrategien,Fremdsprachenunterricht,Deutsch als Fremdsprache,Deutsch in den Niederlanden</metakeywords>
- ↑ Anonym: universelles Lesetraining, Rehadat, Eugen Traeger Verlag