Kinder- und Jugendliteratur didaktisieren

Aus ZUM Deutsch Lernen
Version vom 9. März 2010, 20:09 Uhr von deutsch-lernen>Kees van Eunen (→‎III.6)

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LESEN OHNE GRENZEN: Lesen macht Spaβ mit Deutsch

Kees van Eunen


I Einleitung

Jugendbücher sind populärer denn je. Umsatzzahlen und Anzahl Neutitel pro Jahr steigen schon seit einigen Jahren. Logisch also, dass auch im fremdsprachlichen Deutschunterricht aktuelle Jugendbücher eingesetzt werden. Wie sinnvoll das ist, möge hervorgehen aus einem kleinen Experiment, das vor kurzem in einer niederländischen Schule lief: SchülerInnen bekamen im ersten Monat Deutsch ein Jugendbuch aus dem Goethe-Projekt „Leichte Lektüren für Jugendliche“, und zwar Mirjam Presslers „Bitterschokolade“. Das Besondere an dieser Reihe: die jeweiligen – bekannten – AutorInnen vereinfachen und verkürzen ihr ursprüngliches Werk in Zusammenarbeit mit einem Team von Lehrern, das auch die anschlieβende Didaktisierung vornimmt. Von vornherein war klar, dass das gewählte Buch für die Zielgruppe – trotz der Tatsache, dass niederländischsprachige SchülerInnen rezeptiv mehr können als z.B. ihre französisch- oder englischsprachigen KollegInnen – sprachlich unangemessen schwierig war, inhaltlich aber zielgruppengerecht. Die SchülerInnen wurden – das war der Kern des Projekts - gebeten, das Buch so gut es ginge zu lesen und auf jeder Seite rot zu unterstreichen, was sie nicht verstanden und in einem Wörterbuch nachschlagen mussten. Man kann sich die ersten Seiten gut vorstellen: viel, sehr viel rot. Aber bald wurde das weniger und am Ende des Buches – gut einen Monat später – nur noch vereinzelte Unterstreichungen. Der Rückgang war so auffällig, dass man vermutete, dass SchülerInnen mehr oder weniger streikten, weil ihnen z.B. das Nachschlagen lästig geworden wäre. Ein Test aber wies aus, dass der Wortschatz, der im Beginn wohl und später nicht mehr unterstrichen wurde, genau beherrscht wurde. Kurz: Lesen hilft tatsächlich sehr beim Wortschatzaufbau.

Selbstverständlich ist dieses Experiment (woran SchülerInnen übrigens auf freiwilliger Basis mitmachten, mit der Möglichkeit, jederzeit problemlos aussteigen zu können) nicht als pädagogisch-didaktische Empfehlung zu verstehen, im Gegenteil. Soll die Förderung der Lesefähigkeit Ziel des Unterrichts sein, muss vor allem Wert auf Spaβ am Lesen und auf Leseerfahrungen der Schüleri¬nnen und Schüler gelegt werden, denn nicht alle haben die Erfahrung gemacht, dass Lesen Freude bereiten kann. Hierfür gibt es sicherlich verschiedene Gründe. Eine mögliche Ursache ist, dass Schülerinnen und Schüler wenig Zugang zu Büchern haben und so noch nicht erfahren konnten, was beim Lesen erlebt werden kann: Entspannung, Spannung, Freude, Traurig¬keit, Mitleid, Hass usw.

Das Lesen von fremdsprachigen fiktionalen Texten könnte für SchülerInnen eine zusätzliche Schwierigkeit sein. Gerade deswegen ist es wichtig, dass die angebotenen Texte ansprechend sind. Der Inhalt der Bücher ist mindestens ebenso bedeutsam wie die verwendete Sprache und was man didaktisch damit anstellt.

In diesem Artikel geht es denn auch um sowohl Hinweise und Tipps, wo man gezielte Informationen über für den fremdsprachlichen Deutschunterricht geeignete Jugendbuchtitel findet, und was man an didaktischen Möglichkeiten hat.

Eine zentrale Rolle dabei spielt das gerade online gegangene niederländisch-deutsche INTERREG-Projekt ‚Lesen ohne Grenzen’. Ziel dieses Projekts ist es, dass Schülerinnen und Schüler auf verschiedenste Art und Weise Jugendlite¬ratur kennen lernen und sich damit auseinander setzen. Das gleiche Ziel verfolgte ein anderes, schon vor mehreren Jahren abgeschlossenes europäisches Projekt, das unten auch näher vorgestellt wird: ‚Europäische Jugendliteratur(en) LESEN - Europäische Sprachen VERSTEHEN - In Europa ZUSAMMENARBEITEN’.


Eine didaktisch gelungene Auseinandersetzung mit jugendliterarischen Stoffen kann zu einer Steigerung der Lesefreude und der Leseerfahrung führen, sodass eine positive Einstellung gegenüber Jugendbüchern, in unserem Fall deutschsprachigen, entsteht.

Selbstverständlich bietet wohl jedes Jugendbuch eine unabsehbare Reihe von Verarbeitungsmöglichkeiten. Es hat kaum Sinn, diese von Titel zu Titel vorzugeben. Lohnend aber ist die Bereitstellung einer Reihe allgemein anwendbarer Verarbeitungsideen, die übrigens großenteils auch auf kurze Fiktionsformen anwendbar sind.


II Konkrete Lese-Aufgaben zur Auswahl

Eine Schule im Norden der Niederlande setzt ein Schülerheftchen für sämtliche (Fremd)Sprachen ein, das die Schüler verwenden sollen, wenn sie eine Buchbesprechung oder so schreiben. Es ist ganz einfach: aus jeder unten aufgeführten Kategorie sollen 1-2 Aufgaben gewählt und durchgeführt werden, nach Wahl und Geschmack des Schülers. Beim nächsten Buch müssen andere Aufgaben gewählt werden, beim übernächsten wieder andere usw. Kontrolle geschieht per 'Lesedossier': eine Mappe, in der der Schüler alles ablegt, was er schreibt. Vorteil: Schüler haben mehr Spaß an mehr sinnvollen, weil selbstgewählten Aufgaben. Nachteil: keiner, außer vielleicht etwas Papierkrieg. Übrigens bewahrt der Schüler seine Mappe selber zu Hause auf. Verbindungen mit Ideen und Angeboten aus dem Bereich des europäischen Sprachenportfolio liegen auf der Hand, aber ohne geht’s auch. Die Aufgaben zerfallen in drei Kategorien: inhaltverarbeitende, analysierende und kreative Aufgaben.

Die Aufgaben kann man Vorlage:Pdf downloaden.


III „Lesen ohne Grenzen“

III.1

Das seit November 2007 online verfügbare INTERREG-III-Projekt “Lesen ohne Grenzen” soll einerseits niederländischsprachige Jugendliteratur zugänglich machen für deutsche SchülerInnen mit Niederländisch als Fremdsprache und andrerseits, parallel hierzu, deutschsprachige Jugendliteratur für niederländische SchülerInnen mit Deutsch als Fremdsprache im Fächerpaket. Beide Gruppen werden über ihre LehrerInnen und Schulen erreicht.

Das Projekt ist eine Kooperation von drei Organisationen – mit Unterstützung durch die Euregio Ems-Dollard (EDR):

  • das Regionale Pädagogische Zentrum (RPZ) in Aurich;
  • die Groninger Bibliothekszentrale ‘Biblionet’;
  • das Goethe-Institut Amsterdam.


Es hat sich gezeigt, dass viele Themen der modernen Jugendliteratur junge Menschen unabhängig von ihrer Nationalität und Muttersprache ansprechen. Darum ist Jugendliteratur ausgesprochen gut geeignet, Jugendliche mit Fremdsprachen vertraut zu machen. Der Abbau der deutsch-niederländischen Sprachbarriere ist und bleibt von großer gesellschaftlicher Bedeutung. Dabei sind sich die Initiatoren durchaus der großen Unterschiede in der Tradition und Popularität der Fächer Deutsch an niederländischen Schulen und Niederländisch an deutschen Schulen bewusst.

Die Jugendbücher, Unterrichtsmaterialien und Leseförderungstipps gruppieren sich um eine Reihe Themen und Genres wie Liebe und Freundschaft, Poesie und Märchen, Magie und Phantastisches.

Folgende Produkte wurden erarbeitet:

  • ausleihbare Bücherkisten mit neu erschienenen Jugendbüchern für jeweils Grundstufe, Mittelstufe und Oberstufe;
  • eine umfangreiche Lehrerhandreichung;
  • Unterrichtsmaterialien zu spezifischen Themen (z.B. ‘Liebe & Freundschaft’);
  • gattungsorientierte Unterrichtsmaterialien: Märchen (Vorlage:Pdf), Lyrik usw.;
  • gezielte Didaktisierungen zu vielgefragten Titeln, oft in Kombination mit Lesereisen bestimmter JugendbuchautorInnen.


Zwei Hauptergebnisse des inzwischen abgeschlossenen Projekts seien hier etwas näher vorgestellt:


Website Lesen ohne Grenzen [1]

Eine zentrale Rolle für die Dissemination des Projekts hat die neu entwickelte Website [2], wo Informationen über die betreffenden Jugendbücher zu finden sind, und wo auβerdem die unterschiedlichen Projektmaterialien heruntergeladen werden können. Diese Website wurde im November der Öffentlichkeit übergeben. Ihr Gebrauch ist frei. Sie enthält Eingänge für sowohl SchülerInnen wie LehrerInnen. Auf der Website können SchülerInnen ihre Meinung über gelesene Bücher veröffentlichen. LehrerInnen erhalten Zugang zu einem Forum.


Ausleihbare Bücherkisten

Deutsche und niederländische Bibliothekare/-innen und LehrerInnen haben aktuelle Jugendbücher für Anfänger und Fortgeschrittene ausgewählt. LehrerInnen in beiden Ländern können Niveau-Bücherkisten mit 30 bis 40 Titeln (Jugendbücher, Filme, CD-Roms) für maximal ein Trimester ausleihen! Informationen für den Deutschunterricht erhält man beim Goethe-Institut Amsterdam, Telefon +31 20 531 29 00 oder per E-mail: bibliotheek@amsterdam.goethe.org. Leider ist es nicht möglich, die Bücherkisten außerhalb der Niederlande auszuleihen.

Das ist auch deshalb schade, weil sich mit so einer Kiste sehr besondere Unterrichtsmöglichkeiten ergeben. Die Kiste steht ja in der Klasse, alle Bücher und anderen Materialien sind als Haufen verfügbar. Von der Website sind vor diesem Hintergrund einige besondere Arbeitsblätter herunter zu laden, die sich teilweise richten auf die Arbeit mit der ganzen Kiste, teilweise auch allgemeiner einsetzbar sind. Hier zwei Beispiele:

III.2 Was liest du? - Arbeitsblatt

Vorlage:Deutsch

III.3 Jugendbücher auf den ersten Blick - Arbeitsblatt

Vorlage:Deutsch

III.4

Im Lehrerbereich der Website gibt es viele weitere Ideen zu den jeweiligen Kategorien. In der Rubrik Poesie & Märchen werden z.B. Verfahren geschildert, die SchülerInnen der Gattung Poesie näherbringen können. Ein Beispiel:

Gruppengedicht

Es muss natürlich nicht immer Popmusik sein. Denn auch über andere poetische Mittel ist Spaβ an Lyrik möglich.

Hochinteressant zum Beispiel ist literarische Arbeit in Spielform: das Spiel 'Gruppengedicht'. Eine Klasse wird in Gruppen von etwa 6 Personen aufgeteilt. Jede Gruppe bekommt ein beliebiges Wort eingeflüstert, das die anderen nicht hören/sehen dürfen (z.B.: Schule – Ferien – Liebe etc.). Jedes Gruppenmitglied schreibt einen Satz auf einen schmalen Papierstreifen, der mit dem Wort zu tun hat. Das betreffende Wort darf, muss aber nicht darin vorkommen. Jede Gruppe bekommt anschließend die 6 Streifen einer anderen Gruppe mit der Aufgabe, diese so auf den Tisch zu legen, dass eine zusammenhängende Botschaft entsteht. Dabei darf Interpunktion angepasst werden, darf 1 Streifen weggeworfen werden, und darf eventuell 1 neuer Satz hinzugeschrieben werden. Das Endergebnis wird von jeder Gruppe an die Wandtafel geschrieben mit als Titel das vermutete Wort. Garantiert viel Spaß und fast immer mindestens eine Gruppe, die etwas sehr Rührendes, Nachdenkliches, Kabaretthaftes von sich gibt. Das Spiel kann bereits in einer frühen Lernphase gespielt werden und gewöhnt Schüler nebenbei daran, dass literarische, ja poetische Aktivität Spaß macht!


III.5

Aber man findet auf der Website auch allgemeinere Ideen. Zum Beispiel zu den Möglichkeiten, SchülerInnen selber – gesteuert – Geschichten basteln zu lassen. Hier in Verbindung mit Bildgags am Overheadprojektor:

Tipps und Tricks für den Overheadprojektor

Unbekannt macht unbeliebt. Das gilt gewiss für jene merkwürdige Variation auf die alte vertraute Wandtafel, den Overheadprojektor. Und das ist schade. Natürlich – mit 'ner Wandtafel sind Sachen möglich, die mit einem Overheadprojektor nicht gehen bzw. wofür man diesen nicht braucht. Aber man vergisst im Unterrichtsländle allzuleicht, dass das Umgekehrte auch gilt: mit einem Overheadprojektor kann man Sachen machen, die mit 'ner Wandtafel nun gerade nicht gehen.

Besonders Bilder, Cartoons etc. bieten viele Möglichkeiten, besonders um bei Schülern die fremdsprachige Zunge zu lösen. Gemeinsames Merkmal fast aller hier vorgestellten Tricks ist, dass sie nach einem festen Motto gestrickt sind: "Ich weiß, ich weiß, was du nicht weißt". Dieses Prinzip ist die Basis vieler Abdecktechniken, die Schüler unbezwingbar neugierig machen: was ist auf dem nicht sichtbaren Teil des Bildes zu sehen? Eine Neugierde, die leicht sprechproduktiv zu machen ist. Selbstverständlich kommt dabei Mnches zuerst in der Muttersprache. Aber wenn man die Worte und Wörter der Schüler stets wieder aufgreift und in die Fremdsprache umsetzt, kann man man mit viel Spaß sehr weit kommen, sogar ohne dass die Schüler pauken müssen.

Abdecktricks sind z.B.:

  • einen Text oder Bild abdecken und von oben nach unten langsam aufdecken (sehr bequem bei Übungskorrekturen etc.);
  • ein Cartoon in Stücke teilen, diese auf Folie bringen und die Folien in kleinen Schritten auf einander legen;
  • ein Bild mit z.B. ein A-3-Blatt abdecken, in der Mitte ein Loch machen z.B. in Herzchen-Form; nur im Herzchen ist ein kleiner Teil des Bildes sichtbar. Schüler geben Anweisungen wie nach oben - nach unten - nach links - nach rechts - stopp etc. und versuchen möglichst schnell zu erraten, was auf dem Gesamtbild zu sehen ist; Vorlage:Pdf
  • ein Bild abdecken nach dem Prinzip des Adventskalenders; Luke nach Luke wird geöffnet, und dadurch entsteht eine Geschichte, die die Schüler gerne erzählen, neugierig wie sie nach dem nächsten Stückchen Bild sind;
  • ein Mini-Strip Bild für Bild zeigen; dabei stets W-Fragen stellen und vorhersagen lassen wie es weiter gehen könnte.

Technisch ist die Produktion der Folien heute problemlos: der Kopierer macht's. Aber zur Not kann man eine Zeichnung auch per Hand machen.

Wer dies möchte, kann sehr weit gehen und z.B. Bilder mit Audio verbinden. Frage kann dann z.B. sein, was nicht mit dem Gehörten übereinstimmt, usw. Auch komplette audiovisuelle Überraschungen sind denkbar: ein Schattenspiel oder Hörspiel mit Bildern. Märchen sind für solche Prozeduren sehr geignet. Die wichtigsten Gestalten schneidet man aus festem Papier aus, klebt sie z.B. auf das Ende eines Sateh-Stäbchens und zeigt sie als Silhouette per Overheadprojektor an der Wand oder am Diaschirm, eventuell mit Hintergründen, die gleichfalls ausgeschnitten oder gezeichnet sind. So bringt man jede Story intensivst zum Leben. Und das zum größten Vergnügen der Schüler, die oft mit Applaus reagieren. Und das ist im Schulunterricht nicht direkt ein alltägliches Erlebnis.

Zugegebenermaßen sind Entwurf und Herstellung solcher Materialien zeitraubend. Aber zugleich auch lohnend: man kann seine Produktion immer wieder in neuen Klassen einsetzen, gibt es doch jedes Jahr neue Schüler, die diese Produkte noch nie gesehen/gehört haben. Und das macht alle Anstrengungen mehr als wert. Denn: Deutsch macht Spaß.


III.6

Schließlich gibt es auf http://www.lesenohnegrenzen.eu bzw. auf der Website des Goethe-Instituts viele fix und fertige Modelldidaktisierungen von Jugendromanen, teilweise auch in Verbindung mit Lesereisen von JugendbuchautorInnen. Es lohnt sich sehr, hier regelmäßig nachzuschauen. Hier schon mal drei downloadbare Beispiele:

  • "Friedrich und Friederike" von Max von der Grün. Vorlage:Pdf

IV. Anhang

Nützliche Internetadressen

Auswahl zum Thema Jugendliteratur

  • http://www.jugendliteratur.net - Internationales Institut für Jugendliteratur und Leseforschung
    • Rezensionen, Publikationen
    • Ausstellungen, Bibliotheken
    • Abonnement auf 1000+1 Buch
    • Neues und Aktuelles: Buch des Monats

Siehe auch