Lernstrategien im Fremdsprachenunterricht

Aus ZUM Deutsch Lernen

Welchen Stellenwert hat der Einsatz von Ratestrategien?

Deutsch und Niederländisch sind nah verwandte Sprachen. Niederländer können deutsche Texte, selbst wenn sie sie nicht verstehen, oft gut vorlesen. Das hängt sowohl mit der großen Übereinstimmung der Wortstellung als auch mit der Ähnlichkeit der Intonation zusammen. Viele Wörter sehen sogar gleich aus (vgl. auto, geheim, arm usw.) Auch unter Berücksichtigung der 2. Lautverschiebung werden Wörter erschließbar (vgl. Wasser - water scheinen - schijnen usw.) Die Wortverwandtschaft unterstützt damit den Wortschatzerwerb. Dennoch habe ich aus meiner eigenen Unterrichtspraxis die Erfahrung gemacht, dass für viele niederländische Schüler die deutsche Sprache wortwörtlich eine fremde Sprache geworden ist. In meinen Klassen tun sich Schüler immer schwerer aus einem Grundwortschatz heraus neue, unbekannte Wörter zu erschließen.

Diese Überlegung führte dazu, mir Gedanken darüber zu machen, wie man die Sprachverwandtschaft mehr ausnützen könnte. Reicht ein globales oder intensives Training in Ratestrategien aus um die Bedeutung eines Wortes oder Satzteils besser zu verstehen oder sind andere Arbeitstechniken erforderlich. Darüber hinaus muss man sich überlegen, wie wichtig Ratestrategien bei dem Verständnis der deutschen Sprache überhaupt sind. Mit anderen Worten: Welchen Stellenwert muss man Ratestrategien im Unterricht einräumen?

Einschränkung der Frage

Ratestrategien haben Bezug auf alle Fertigkeiten im Fremdsprachenunterricht nämlich hören, lesen, schreiben und sprechen. In diesem Artikel möchte ich mich jedoch auf Ratestrategien bei Leseverständnis und Wortschatzerwerb beschränken. Eine weitere Einschränkung liegt darin, dass ich lediglich einen Ansatz für den rezeptiven Erwerb mache.

Begriffserklärung Ratestrategie

Zunächst muss aber die Definition von dem Wort Ratestrategie verdeutlicht werden. In der deutschen Sprache werden Ratestrategien als etwas Negatives bewertet. Etwas was man vermeiden sollte. "Zu Ratestrategien kommt es, wenn die Stufe der Automatisierung der Lesevorgänge im Leselehrgang übersprungen oder wegen zu geringer Übungsintensität nicht erreicht wurde. Besonders Kinder mit einem guten Gedächtnis täuschen ihre Zuhörer (Lehrer, Klassenkameraden und Eltern) lange Zeit über das wahre Ausmaß ihrer Leseschwäche hinweg, weil sie den zu lesenden Text mit Leichtigkeit auswendig lernen. Ihre Neigung zu Ratestrategien im Lesen bleibt oft lange Zeit verborgen, während sich zunächst eine ausgeprägte "Leseunlust" bemerkbar macht, oft kombiniert mit einer Neigung zu hoher Fehlerquote in der Rechtschreibung".(Auszug aus: universelles Lesetraining, Rehadat, Eugen Traeger Verlag).

Im Fremdsprachenunterricht in den Niederlanden hat der Begriff jedoch einen positiven Stellenwert. Ratestrategien werden in den Niederlanden als Hilfsmittel gesehen um Wörter und Satzteile schneller und besser zu verstehen.


Wortbedeutung aus Texten ableiten

Untersuchungen haben ergeben, dass ein Leser mindestens 95 % eines Textes verstehen muss, um weitere unbekannte Wörter erraten zu können. Dies ist meistens im Unterricht nicht der Fall und deshalb müssen Schüler lernen Ratestrategien einzusetzen.

Folgende Tipps sind aus Lehrgängen wohl bekannt:

  1. Sieht das Wort ein Wort aus der Muttersprache ähnlich? Funke- vonk, Schaf-schaap?
  2. Kennst du das Wort aus einer anderen Sprache? Feuer -fire - vuur
  3. Kann man aus dem Wort ein anderes Wort ableiten? Stämmig-Stamm
  4. Kann man durch Wortanalyse die Bedeutung ableiten? Dankenswerterweise- dank/ens/wert/er/weise

Bei all diesen Techniken gilt aber, dass es immer noch um Erraten handelt. Der Schüler soll ja auch noch überprüfen, ob seine Überlegung stimmt. Bevor man ein Wörterbuch zur Hand nehmen muss, gibt es noch die Möglichkeit anhand von gezielten Fragen einen Text zu durchlaufen.

Ist das Wort für das Verständis eines Textes wichtig? Ja \rightarrow nein